Literatur aus der Eifel
„Es war doch nur Regen?!“ – Bestseller über die Flutkatastrophe
„Es war doch nur Regen – Protokoll einer Katastrophe“. Andy Neumann aus Bad Neuenahr-Ahrweiler beschreibt in seinem Spiegel-Bestseller die Flutkatastrophe und ihre Auswirkungen im Juli 2021. Viele der rund 40.000 betroffenen Menschen an der Ahr oder an der Erft erkennen sich darin wieder. Und nicht nur die unmittelbar Betroffenen. Auch die Helfer, die aus allen Teilen Deutschlands gekommen sind, haben großes Interesse an dem Buch. Ein Buch, das aus ersten Posts entstanden ist, die Andy Neumanns auf seiner Facebookseite veröffentlicht hat, und in dem sich viele Menschen wiederfinden.
Der Autor Andy Neumann, © Axel Hausberg
Ich treffe Andy Neumann kurz vor seiner Signierstunde in der Buchhandlung Reuffel in Mayen zum Interview. Er trägt Dreitage-Bart, Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift: „Wirmachenweiter“. Der Familienvater und BKA-Beamte hat wie tausende andere die vergangenen Monate geschippt und geschrubbt, gehämmert und gemeiselt um sein Haus wieder in Ordnung zu bringen. Es war gerade mal dreieinhalb Jahre alt, als die Flut das gesamte Erdgeschoss und den Garten geflutet hat. Und das, obwohl es mindestens 200 Meter von der Ahr entfernt steht. So dachte auch Andy Neumann in der Flutnacht, dass es nur Regen ist, was da vom Himmel kommt, denn niemand warnte sie davor, dass die Ahr in kürzester Zeit zur reißenden und zerstörerischen Flut werden könnte. In seinem Buch beschreibt Andy Neumann seine persönliche Situation während und nach der Katastrophe, kritisiert die „Katastrophe nach der Katastrophe“ und ordnet ein. Er weiß, wovon er schreibt, denn er ist einer der Betroffenen, wenn auch einer von den Glücklicheren, wie er selbst sagt.
„Es war doch nur Regen?! – Protokoll einer Katastrophe“
Der 46jährige Kriminaldirektor und Freizeitmusiker schreibt noch in der Flutnacht:
„Liebe Facebook-Freunde, unser Haus wurde heute Nacht im absoluten Wortsinn geflutet. Und ich, ein erwachsener Mann, Polizist voller Selbstvertrauen, der sich nicht daran erinnern kann seit seiner späten Jugend je etwas wie Angst gefühlt zu haben, ich hatte eine Scheißangst. Um meine Kinder, meine Frau und ja, sogar um mich selbst.“
Danach hat Andy Neumann immer wieder seine Erlebnisse bei den Aufräumarbeiten geschildert und sich von der Seele geschrieben, was ihn bewegt hat: der Kampf mit dem Matsch und dem unbrauchbaren Mobiliar, der Kampf mit Behördengängen, Versicherungen und Gutachtern, und die Wut über Versäumnisse politisch Verantwortlicher. Aber auch seine Dankbarkeit für die zahllosen Helferinnen und Helfer, die ins und in sein Haus Ahrtal kamen und mit anpackten.
Nach dem Thriller „Zehn“ der reale Horror
Weil Andy Neumann kurz zuvor einen Thriller beim Gmeiner Verlag veröffentlicht hatte, fragte er im Sommer dort an, ob Interesse an einem „Flutbuch“ bestehe. Der hatte Interesse und war auch damit einverstanden, dass der Erlös an die Flutopfer geht. Er wollte das Buch aber so schnell wie möglich veröffentlichen. Eine große Herausforderung für Andy Neumann, denn er hatte eigentlich etwas anderes zu tun, als zu schreiben. Frau und Kinder waren bei den Schwiegereltern im Schwarzwald, er war in einem benachbarten Winzerbetrieb untergekommen und kümmerte sich um das geflutete Haus. Eine schlimme Zeit, auch wenn Andy Neumann weiß, dass es ihm noch verhältnismäßig gut ging: Frau und Kinder und er selbst sind mit dem Leben davongekommen und die Familie hat eine Elementarschadenversicherung.
Die Frau an seiner Seite – die nervenstarke Mutmacherin
„Es war doch nur Regen?!“ ist in erster Linie eine salopp geschriebene Dokumentation, kein Prosastück, das man auf seine literarische Qualität prüfen sollte. Für meinen Geschmack ist etwas viel in Klammern geschrieben und einiges nur Insidern verständlich. Besonders stark wird das Buch für mich an den Stellen, wo Andy Neumann seine Gefühle ausdrückt. Und die kommen vor allem dort zum Vorschein, wo es um seine Frau und seine beiden kleinen Kinder geht, wie in diesem Textausschnitt, den Andy Neumann selbst liest:
Wir schaffen das!
Nun hoffen die Neumanns, dass sie bald wieder in ihr Haus ziehen können, auch wenn noch eine ganze Menge Arbeit vor ihnen liegt, wie Andy Neumann schreibt:
„Und auch das werden wir schaffen, denn wie meine Frau so gerne sagt, das Größte, das sind wir und das beweisen wir dem Schicksal auch. So!“
Momentan kommt der Verlag gar nach mit dem Druck des Buches, so gut verkauft es sich. Zu haben ist es in jeder Buchhandlung oder online.
Andy Neumann: „Es war doch nur Regen?! – Protokoll einer Katastrophe“, Gmeiner Verlag, 14 Euro
Ein Wunder – Dieses Glas hat Andy Neumann unversehrt aus dem verschlammten Erdgeschoss gerettet.
„Vergiss mal nicht“ von Andy Neumann
Der schmale Band „Vergiss mal nicht“ ist die Fortsetzung von „Es war doch nur Regen“, denn natürlich wollten viele Leser wissen, wie es bei den Neumanns weitergegangen ist. Und nicht nur bei ihnen, sondern auch bei anderen Betroffenen. Andy Neumann hat eine ausgesprochen kritische Bestandsaufnahme gemacht und mit dem Titel „Vergiss mal nicht – Ein Jahr nach der Flut und was wir daraus lernen könn(t)en“ ein Denkschrift verfasst.
Betroffene warten noch auf Genehmigungen, auf Handwerker, auf Baumaterial. Viele, so Andy Neumann, sind darüber müde geworden, denn das vollmundige Versprechen der Politiker gleich nach der Flut von einer schnellen, unbürokratischen Hilfe hat sich für sie nicht erfüllt. Das kritisiert er in seiner Denkschrift. Ich zitiere meine absolute Lieblingsstelle, an der es um die vollmundigen Worte der Politiker geht, die gleich nach der Flut davon sprachen „unbürokratisch“ helfen zu wollen:
„Also Redenschreiber, die ihren Ministerpräsidentinnen oder Bundespräsidenten so was reindiktieren, die müssen ihre Chefs wirklich abgrundtief hassen. Weil es natürlich totaler Quatsch ist, dass in Deutschland irgendetwas unbürokratisch und schnell funktioniert. Das ist einfach nicht unsere DNA, unsere administrative DNA, also sorry, und das muss man einfach mal nüchtern konstatieren.“
Die Flut und der Klimawandel
Wichtig ist es Andy Neumann, auf den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Flutkatastrophe hinzuweisen und welche Lehren und Konsequenzen wir daraus ziehen sollten. Das hat ihn auch zu dem Titel des Buches „Vergiss mal nicht“ inspiriert. Darüber hinaus beleuchtet er die Helferszene, die im Ahrtal viel Gutes bewirkt, gleichzeitig aber invasorische Züge gehabt habe. Neumann erzählt von den Schicksalen anderer Ahrtalbewohner, von Politikern, die sich ihrer Verantwortung entziehen und davon, was die Menschen an der Ahr nicht verzweifeln lässt. Wörtlich schreibt er:
„Die Menschen an der Ahr, wie ganz sicher auch die Menschen in Nordrhein-Westfalen, haben bewiesen, dass es möglich ist, alles Leid, die Trauer, Wut, Ohnmacht, Hilflosigkeit zu verdrängen, solange wir auf Dinge bauen können, wie Liebe, Hoffnung, Humor. Die Menschen haben ihre Menschlichkeit gezeigt, manche vielleicht wiederentdeckt und da Ergebnis hat tausende von Geschichten geschrieben, die es ebenso wert wären erzählt zu werden wie die meine. Und in Einzelfällen hat sich sogar etwas gezeigt, was ich gerade im Beamtentum viel zu oft vermisse: auch offizielle Stellen, Behörden und dort verantwortliche Personen haben mitunter erst gehandelt und dann die Frage nach der Zuständigkeit gestellt. Was für ein Land könnten wir sein, wenn diese Maxime wieder zur Leitlinie werden würde.“
Pflichtlektüre für Politiker, Behördenmitarbeiter und Versicherungsleute
Für Kommunal- und Landespolitiker, Versicherungsleute und Behördenmitarbeiter sollte „Vergiss mal nicht“ Pflichtlektüre sein. Denn hier schreibt ein Staatsdiener, der nichts lieber möchte als seinem Staat vertrauen zu können und ihm zutrauen zu können, dass er Katastrophen wie diese meistert und seine Bürger nicht im Stich lässt.
Wie ich die ersten Tage als Helferin im Katastrophengebiet an der Ahr erlebt habe, beschreibe ich in dem Blogartikel „Wir sind Eifel – Hilfe nach der Flutkatastrophe im Ahrtal“.
Danke schön für das Buch.
Jedem der von nun an fragt wie es im Ahrtal aussieht und wir es denn Menschen wohl geht, antworte ich jetzt, fahrt hin, helft mit UND kauft Euch dieses Buch.
Es beschreibt treffend viele Erzählungen der Betroffenen.
Gut, dass Du uns auf das Buch aufmerksam machst! Herzliche Grüße Gerd